Hilfe, mein Patient klagt, – keine Angst vor Beschwerden!

Professioneller Umgang mit PatientenbeschwerdenDie Katastrophe

Der Urlaub ist zu Ende und der erste Arbeitstag beginnt mit Herrn Meier. Er scheint stinksauer zu sein, weil er nach Eingliederung der neuen Brücke Schmerzen hatte, die ihn während Ihres Urlaubs mehrmals in den Notdienst getrieben hatten. Ein Brückenpfeiler ist trepaniert und provisorisch versorgt. Herr Meier hat wegen der Umstände ein Vorstellungsgespräch nur mit halber Kraft (und dementsprechend erfolglos) hinter sich gebracht und gibt Ihnen die Schuld an dem ganzen Desaster. Er schimpft lautstark ohne Punkt und Komma und die Patienten im Wartezimmer spitzen neugierig die Ohren. Jetzt ist Fingerspitzengefühl gefragt, aufgebrachte Patienten stellen eine große emotionale und kommunikative Herausforderung dar.
Auch wenn es paradox klingt: Solange sich Patienten  beschweren, sind sie noch nicht verloren und solange sie überhaupt noch mit Ihnen – auch wenn es dabei laut wird! – sprechen, trauen sie Ihnen zu, eine Lösung für ihr Problem zu finden.

Keine faulen Ausreden bei Patientenbeschwerden

Die erste und leider häufigste Reaktion besteht darin, die eigene Arbeit zu verteidigen und die Schuld von sich zu weisen, was kaum auf fruchtbaren Boden fällt. Auch Entschuldigungen oder Mitleidsbekundungen („Das tut mir sehr leid“) können den Redefluss von Herrn Meier nicht stoppen – sie verschaffen ihm im Gegenteil nur neue Munition. Was ist also zu tun?

Ruhe bewahren und zuhören

Es gilt, den verloren gegangenen guten Draht (Rapport) zum Patienten wieder herzustellen. Professioneller Umgang mit Patientenbeschwerden bedeutet, dass Sie Herrn Maier zunächst einmal aufmerksam zuhören. Keine Angst: solange Sie ihm nicht ständig neue Munition liefern, ist seine Redezeit natürlicherweise begrenzt. Kaum ein Mensch – selbst wenn er noch so wütend ist – hat für mehr als 60 Sekunden Text abrufbereit. Lassen Sie ihn also in Ruhe zu Ende schimpfen und nutzen Sie die Zeit, sich körperlich durch tiefes und ruhiges Ausatmen zu entspannen. Schenken Sie dem Patienten Ihre Aufmerksamkeit – was treibt ihn emotional an? Ist es Wut? Trauer? Enttäuschung? Das ist nicht immer auf Anhieb zu erkennen. Solange Sie unsicher sind, stellen Sie sachliche Nachfragen zum Ablauf der Dinge und wie der Patient diese bewertet, enthalten sich aber dabei jeglicher eigener Beurteilung.
Es ist wichtig, dass der Patient wirklich alles, was ihn umtreibt, loswerden kann. Natürlich fällt es schwer, in solchen Momenten ruhig zu bleiben, – umso mehr, je unberechtigter die Vorwürfe des Patienten sind und je unfreundlicher er auftritt. Aber Sie können die Situation retten und das geht nur, wenn der Patient spürt, dass er verstanden worden ist.

Die emotionale Botschaft verstehen und ansprechen

Sie erreichen das, indem Sie die Emotion des Patienten ansprechen und diese mit seiner Schilderung (möglichst genau mit seinen Worten) verknüpfen:
„Herr Meier, Sie sind wütend, weil Sie nach der Behandlung Schmerzen und Ärger hatten und weil ich nicht da war, um Ihnen zu helfen.“
(Struktur: „Sie sind / haben / fühlen… *Emotion des Patienten*, weil… *paraphrasierte Sachschilderung des Patienten*.“)

Was kann der Patient darauf hin nun tun? Er ist in einer paradoxen Situation: er war gegen Sie aufgebracht, und nun muss er Ihnen zustimmen: „Ja, genau!“

Pacing und Rapport: Das Vertrauen wiederherstellen

Dies ist der entscheidende Moment im Gesprächsverlauf – der verloren gegangene Rapport ist zunächst einmal wieder hergestellt. Es handelt sich dabei noch um ein sehr fragiles Konstrukt und Ihre Aufgabe besteht nun darin, noch ein bis zwei solcher Momente zu erreichen, in denen Ihr Patient sich von Ihnen emotional und sachlich verstanden fühlt.

Sie folgen damit einer kommunikativen Systematik, in deren Verlauf Sie in Ihrem Patienten eine innere Ja-Haltung erzeugen. In der Werbung ist diese Strategie als „Yes-Set“ bekannt, in der Hypnose und dem Neurolinguistischen Programmieren (NLP) nennt man das Prinzip „Pacing“. Je öfter der Patient Ihnen zugestimmt hat, desto größer wird seine Bereitschaft, Ihnen auch weiterhin zuzustimmen.

Für Sie zahlt sich das letztendlich dadurch aus, dass der Patient wieder geöffnet wird für Lösungsvorschläge Ihrerseits – und damit kommt der Prozess wieder in einen harmonischen Fluss.

5 Meinungen zu “Hilfe, mein Patient klagt, – keine Angst vor Beschwerden!

  1. Genau!
    Den Rapport wieder herstellen… und es funktioniert. Bei mir hat es (in ähnlicher Situation) deshalb funktioniert weil ich wusste:
    Der Patient mit seinen Beschwerden, im Moment der Empörung, hat ebenso das Empfinden „der Mittelpunkt des Universums“ zu sein wie ich…

  2. Das mit dem Kommunizieren ist so ein Ding: Ein Beziehungsding, da gehören mindestens zwei dazu, ein Sender, ein Empfänger und der Empfänger bestimmt die Botschaft.
    Empfange ich die Beschwerdebotschaft als Mängelbeschwerde des Patienten – Mängel in Tragekomfort, Qualität, Passform etc., die mit einen Mangel an Zufriedenheit, Sicherfühlen und Wohlbefinden einhergehen – dann bin ich ein Dienstleister, der verpflichtet ist, Mängel zu beheben. Nicht anders als in allen anderen Dienstleistungsbereichen. Der Kunde ist König. Wenn er nicht zurecht kommt, warum auch immer, ob begründet oder unbegründet, er ist zahlender König. Und hat das Recht zu reklamieren.

    Warum sind wir beim Thema Beschwerden so verletzlich? Was in uns macht, dass wir die bemängelnde Botschaft empfangen als Be- und Abwertung von uns? Du hast Mist gebaut, Du taugst nicht. Du hast das falsch gemacht, sicher auch fast mit Absicht, Du bist gemein, Du machst das immer falsch, Du bist ein Versager. Haste nichts gelernt? Da klingelt doch was bei jedem von uns. Kennen wir doch. „6, Setzen!“

    Warum muss ich mich aufregen? Der sich beschwert, meint doch in Wirklichkeit nicht mich, nicht ICH bin schlecht ausgeführt, sondern nach seinem Empfinden ist die erhaltene zahnärztliche Arbeit nicht korrekt, die Rechnung zu teuer etc. Der will nicht mir an meine Ehre, noch nicht mal an meine Berufsehre. Der ist unzufrieden, darf er, er zahlt, der Kunde ist König.
    Da erhält er mein YES. da darf er VERTRAUEN, dass ich mir das sorgfältig noch einmal anschaue und das so mache, dass er FÜHLT, das es gut ist.

    In meiner Praxis gibt es die Maßgabe : Beschwerden sind IMMER berechtigt. Irgendwas stört, und wenn es nur das Gefühl für das Störende ist. Es gibt einen Grund , und der wird ernst- und angenommen.
    Das ist Rapport – denn Kommunikation ist BEZIEHUNG!

    Motzen meint nicht uns persönlich. Sondern bezeichnet die Landschaft des anderen, die Landkarte hat andere Gebirgszüge. So what? Nehm ich meine Harke und meine Schaufel und biete ihm auch Harke und Schaufel an und gemeinsam beackern wir das betroffene Feld.
    Geht immer. Geht ohne Stress und Aufregung. Geheimtipp Kaffee, Kuscheltier, Belohnung.
    Wenn wirklich einer kommt, der verletzen will, mich oder eine meiner Mitarbeiter, dann setze ich ein STOP, entweder beziehungsaktiv mit dem Ziel der Lösung für ihn zu seinem Besten oder er fliegt raus. Willste A oder B? Obst oder lieber die Banane?

    Noch einen anderen Aspekt will ich anschneiden, die NICHT- Botschaften. Das, was alles NICHT ist. “ Geht es Ihnen gut?“ “ Joah, nicht so schlecht.“
    “ Passt das?“ „Sitzt nicht schlecht.“
    Ja, hallo, ist es jetzt auch wirklich gut?
    Ich sage oft am Tag, sagt mir bitte, was ist und nicht was nicht ist. Das, was nämlich nicht ist, ist das, was fehlt und was das Bemängeln in Art und Umfang ausmacht.

    Liebe Grüße Steffi

  3. Hallo Ihr Lieben,
    heute erst habe ich diesen blog entdeckt und möchte ihn zunächst dazu missbrauchen, nochmal allen vom Hypno Curri 2014 zu danken. Das war eine Fundgrube an Bereicherung.
    Und zum Thema sich beschwerender Patienten habe ich einen Klacks Senf:
    Richtig schwierig wird es dann, wenn ich als Behandler mich wiederfinde als Vertreter der Welt da draußen, die dem Patienten übel mitgespielt hat und ein zahnmedizinisches Problem hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Rapport ist wichtig, Pacing manchmal eine echte Herausforderung. Dann hilft es mir, wenn ich mir klar mache, dass da ein „Dritter“ im Spiel ist: Das Problem.
    Und wir kümmern uns gemeinsam.
    Wenn das funktioniert, ändert sich die Schusslinie augenblicklich.
    Es ist wie bei einem Laserschwertkampf: Zuerst beschießt man sich gegenseitig, dann wird der Energiestrahl gemeinsam auf das Problem gerichtet, um es aufzulösen.
    Liebe Grüße
    Anja

    1. Sich mit dem Patienten gegen das Problem zu verbünden, ändert nicht nur die Perpektive beider Betrachter, sondern auch die Schusslinie: Ein systemisch treffender und konstruktiver Ansatz, liebe Anja.
      Mehr „Klackse Senf“ bitte, damit unser Blog Appetit auf mehr macht!!!

      Liebe Grüße nach Aachen

      Theresa

  4. Ein immer aktuelles Thema und ganz wertvolle Beiträge. Vielen Dank dafür.

    Ein anderer Aspekt im Beschwerdemanagement ist, die behandlungsbedingte Zahl der Beschwerdefälle zu reduzieren, indem man die Indikation seiner Behandlungsmaßnahmen überdenkt.

    Und was für einen tollen Job erledigen meine Mitarbeiterinnen an der Rezeption und haben es verdient, dass ich Sie darin unterstütze durch eine gute Praxisorganisation und Freiräume, selbst Entscheidungen zu treffen?

    Wie vermeide ich Beschwerden wegen der Wartezeit? Und auch Reklamationen wegen einer Rechnung können vorkommen, die zu einem großen Teil in ein positives Erlebnis gewandelt werden können, wenn dem Patienten, entgegen seiner Erwartung, bis zu einem bestimmten Betrag immer unaufgefordert Recht gegeben wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert