Die zweite Meinung – oder: Verstehen Sie Ihre Patienten?

Eckart von Hirschhausen, Arzt und Kabarettist
Eckart von Hirschhausen, Foto: Hausschild

Worte sind wie Medizin

Ärzte werden sicher nicht fürs Reden bezahlt. Dabei zahlen sich Zugewandtheit, Verständnis und Verständlichkeit im ärztlichen Gespräch für beide Seiten aus – im Sinne einer guten Arzt-Patienten-Beziehung, im Sinne von Compliance und einer positiven Beeinflussung des Heilungsprozesses. Anders ausgedrückt: Effektive Kommunikation hat gesunde Nebenwirkungen.
Und wie beurteilen die Patienten die Realität im Sprechzimmer? Aus deren Sicht ist der schulmedizinische Behandlungsalltag schlicht ernüchternd. Und mein Eindruck am heutigen Morgen in einer renommierten Sportklinik im Märkischen Kreis wirft grundsätzliche Fragen auf.

• Warum machen manche Ärzte es ihren Patienten so schwer, sie zu verstehen?
• Warum geht in der Praxisroutine mitunter das Gespür für einen angemessenen zwischenmenschlichen Umgang verloren?
• Was wünschen sich Patienten wirklich?

Die zweite Meinung

Auf diesen Termin haben wir lange warten müssen: Auf Anraten ihres Hausarztes wollen meine Tochter und ich als ihre gesetzliche Betreuung eine zweite Facharztmeinung einholen. Anlass ist eine Knie – OP, zu der der behandelnde Chirurg im hiesigen Krankenhaus angesichts der wiederholten Unfälle meiner Tochter geraten hat. Seit dem letzten Sturz leidet sie unter starken Schmerzen.

In der Spezialklinik erfolgt – nach einstündiger Anfahrt – zunächst die Aufnahme durch eine freundliche Mitarbeiterin. Anschließend warten, bis der Arzt kommt.
Und dann kommt er, mit einem routiniert – neutralem „Guten Tag“ und fragendem Blick.
Wir erwidern die Begrüßung, stellen uns namentlich vor. Meine Erwartung, nun unsererseits zu erfahren, mit wem wir es denn zu tun haben wird enttäuscht. Nun gut, auch wenn ich keine Namensschild sehen kann, es wird schon seine Richtigkeit haben, schließlich hat ihn ja vorhin die Mitarbeiterin mit „Herr Doktor“ angesprochen. Nach kurzem Schweigen schließlich seine Frage an uns:
„Sie sind hier, weil…?“

Nachdem das Anliegen, das Ausmaß und der Verlauf der Beschwerden so kurz und präzise wie möglich geschildert worden sind (Zeit ist Geld und die Geduld des Arztes soll nicht über Gebühr strapaziert werden) erfolgt eine ebenfalls kurze Untersuchung. Anschließend wird das vorliegende Röntgenbild besprochen und wir erfahren die (bereits bekannte) Diagnose.
Dann erneutes Schweigen.
Ich durchbreche die Pause und frage den namenlosen Arzt (Herr Doktor hmm…?), welche  Behandlungsmethoden denn schulmedizinisch sinnvoll und notwendig seien und spreche erneut die empfohlene OP des Kollegen an. Ich würde gerne die geschätzte zweite Meinung eines kompetenten Facharzt dazu hören, dazu habe ja auch der Hausarzt geraten.
Der Arzt erläutert kurz einige Sachverhalte, die OP betreffend (unterbrochen von einem länger dauerndem Anruf, bei dem zu meiner Verwunderung fröhlich geplaudert wird – geht doch!), anschließend erneutes Schweigen.
Ich lasse mich dadurch nicht demotivieren und versuche mit der nächsten Frage zu landen. „Welche Alternativen gibt es zu dieser OP und was kann meine Tochter selbst zur Besserung der Beschwerden tun?“
Die Antwort fällt puristisch knapp aus:
„Bandagen – haben Sie welche?“.
Ich bejahe mit zunehmender Irritation. Aber eingedenk des Mottos: Wer nicht fragt, bleibt dumm, plaziere ich die nächste schlaue Frage. „Welche Klinik eignet sich denn da – im Hinblick auf die von Ihnen ja als eine noch relativ neu beschriebene OP-Technik – besonders gut?“
Antwort: „Eine mit Erfahrung in dem Bereich.“
Frage meinerseits: „Und wie finde ich als Laie das heraus?“
Antwort: Fragender Blick und Schweigen.
Ich unternehme den Versuch, eine kommunikative Brücke zu bauen und frage nach der Erhahrung und den Möglichkeiten, die die renommierte Sportklinik selbst anbiete. Doch der Versuch, eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe darüber zu erhalten, ob 1. die OP die optimale Lösung sei und 2. die Klinik dafür die besten Voraussetzungen biete, läuft angesichts der anhaltenden Zurückhaltung (zudem wird das Gespräch unterbrochen vom nächsten Anruf, der – ebenso wie der vorherige – nicht erklärt bzw. entschuldigt wird) irgendwie ins Leere. Relevante Fragen, die mir auf den Nägeln brennen, so die nach operativen Risiken, Erfolgsraten, postoperativer Versorgung und Nachsorge stelle ich gar nicht erst. Zu groß ist der Eindruck, nicht richtig wahrgenommen zu werden und schon zu viel Zeit gekostet zu haben. Meine Tochter, sonst nicht auf den Mund gefallen, traut sich auch nicht, weiter zu insistieren. Immerhin, die Frage, ob wir eine Kopie des Arztberichtes an den Kollegen erhalten, wird noch positiv beantwortet, ehe wir das Feld räumen.

Ich bin unzufrieden mit der Situation im Sprechzimmer (leider nicht zum ersten Mal): Habe ich die falschen Fragen gestellt? Und warum habe ich nicht deutlich gemacht, dass ich mir mehr Information und Aufmerksamkeit gewünscht hätte? Denn die hätten wir gebraucht, um gemeinsam die richtige Entscheidung mit einem guten Gefühl treffen zu können.

Fazit: Klüger als vorher bin ich nicht. Alles, was wir heute erfahren habe, hatte uns der Chirurg im hiesigen Krankenhaus bereits erklärt, mit einem Unterschied: Er hatte sich doppelt so viel Zeit genommen, mit – zugegeben – doppelt sovielen telefonischen Unterbrechungen.

Klagen sind Wünsche

[pullquote] „Die größten Defizite haben Ärzte in der Kommunikation“. Dr. Maria Eberlein-Gonska, Leiterin der Abteilung Qualitätssicherung am Uniklinikum Dresden[/pullquote]Sind das lediglich Einzelfälle? Umfragen, in denen viele Patienten über Mundfaulheit und „Ärztesprech“ ihres Arztes oder Zahnarztes klagen, halten dagegen. Ihnen kann man entnehmen, dass sie – die Patienten –  sich nicht verstanden fühlen. Und – vor allem ältere Menschen – trauen sich nicht  nachzufragen, wenn sie selbst etwas nicht verstanden haben. Mangelnde Einsicht in notwendige Behandlungsmaßnahmen und gesundheitliche Eigenverantwortung – so auch Prophylaxe, Zahn- oder Prothesenpflege, Nichteinhalten von Folgeterminen, Misstrauen und Missverständnisse, bis hin zum Arztwechsel sind häufig die fatalen Folgen. „Shared Decision Making“ verkommt zum reinen Schlagwort. Und letztendlich leidet unter all dem natürlich auch die eigene Zufriedenheit in einem Beruf, der viel mit Berufung zu tun hat.

Keine Angst vor hohen Ansprüchen

Natürlich sind nicht alle Mediziner und Zahnmediziner kommunikative Naturtalente. Und leider wird die ärztliche Gesprächskunst, im Vergleich zu anderen Leistungen, unzureichend vergütet. Das haben mittlerweile auch die meisten Patienten begriffen und die Angst vor überzogenen Patientenansprüchen ist in der Regel unbegründet. Was die kommunikative Kompetenz und Empathie ihres Arztes betrifft, sind die meisten verhältnismäßig bescheiden. So antwortete eine schwerstkranke alte Dame auf die Frage, was sie von ihrem Arzt dringend erwarte: „Dass er sich mir vorstellt, mir freundlich Guten Tag und Auf Wiedersehen sagt und mich dabei anlächelt.“

Die Patienten mit ins Boot nehmen

Um es mit Eckart von Hirschhausen, Arzt und Kabarettist, zu sagen: „Macht die Patienten zu euren Verbündeten! Lernt sprechen und vertraut der Kraft der Bilder, um den Patienten ihre Angst zu nehmen.“

3 Meinungen zu “Die zweite Meinung – oder: Verstehen Sie Ihre Patienten?

  1. Liebe Theresa,
    ich bewundere Deine Beherrschung, Du hast nicht mit der Faust auf seinen Schreibtisch gehauen und ihn an den Schultern durchgerüttelt, dass er aufwacht und Euch wahrnimmt?
    Ich mache ja sowas, stelle mich vor und fordere Vorstellung ein. Mein Mann war 2013 als Notfall im Krankenhaus, sein Dr. ist ein Dr. rer. nat., danach schien er eine Nummer auf der Stirn zu haben und sein Status als Privatpatient wurde betont durch die diagnosefreie Anordnung eines Stent und eines zweiten Brötchens zum Frühstück.
    Ich habe sodann die Atmosphäre auf den Fluren eingeatmet, die Königinnen der Flure beobachtet, die huschenden Assistenzärzte und mich dem vorbeirauschenden Professor mutig vor die eilenden Füße geworfen, laut gebrüllt, ich sei auch Doktor und erbäte genaue Aufklärung. Das übliche Beäugen und Abschätzen, ob man zu Hirnleistung fähig sei, und erst nach meiner Anmerkung, dem Patienten sei keine Aufklärung bzgl. blutverdünnender Dauermedikation nach Stent zuteil geworden, provozierte eine Reaktion, er ranzte seinen Oberarzt an und steckte seine Hände tief in die Kitteltaschen.
    Das sind doch eindeutige Gesten, da ist einer in seinem Programm, auf seiner Landkarte oder seinem geografischen Schaffensbereich. Und dann soll man ihn auf seinem Esel auch weiterziehen lassen. Indikation ohne fertige Diagnose? Privatpatient auf privater Herzstation mit Schwerpunkt Stent und Katheter? Hat ein Gschmäckle, ziemlich fahl und falsch.
    Sind diese Routiniers dauerdissoziiert, um diese Arbeit tagein und tagaus zu ertragen?
    Und was wollen wir von diesen Spezialisten?
    Allerbeste technische und medizinische Fähigkeiten für ein möglichst störungsfreies weiterleben.
    Müssen die deshalb besonders kommunikativ sein?
    Und uns alle erst befrieden und befriedigen und dann Hand anlegen?

    Sie sollten sicherlich, wenn sie gelernt hätten, was das für Erleichterungen auf allen Ebenen bedeutet. Haben sie aber nicht als notwendigen Vorteil erlebt und erlernt und somit nicht in ihr Repertoire aufgenommen. Und was nimmt ein Patient eigentlich mit von dem, was gesagt wurde?

    Mutter und Sohn kommen vom Kieferorthopäden: Der habe gesagt, er breche die Behandlung ab und es könne nur noch operiert werden.
    Ich habe das dem Kieferorthopäden genau so übermittelt in meiner offenen Art, der ist fast vom Hocker gefallen, weil sooooo habe er das nie gesagt. Ich hab’s ihm übersetzt, das Erschrecken in der Familie, das Verstehen aus eigenem Erleben und Fühlen heraus.
    Also wie verbleiben wir mit solchen kommunikativen Tiefschlägen?
    Wenn es wichtig ist, fordere ich Aussagen unmisverständlich ein, wenn dann immer noch nichts kommt, sofort erschlagen.

    Im Falle des Professors habe ich meine Hände auf dem Rücken verschränkt und laut und deutlich gesagt: NOCH haben SIE nichts falsch gemacht, ich habe dem Patienten zur Flucht geraten. Und bin gegangen.
    Sein Mienenspiel – Minenspiel – verriet, welches Wort in seinem Ohr hängen geblieben ist, nicht das NICHTS, sondern nur das FALSCH.
    Lg Steffi

  2. Da stolpert man über Worte aus dem benachbarten anderssprachigen und – betonenden Raum und wird von Bildern, Geräuschen, Gefühlen überrannt.
    Zwickerbusserl
    Da ist doch ein kratziger Dreitagebart im Spiel und ein leichtes auf die Zunge gebissen werden beim Küssen, bzw. ein erster Milchzahn, der sich schmerzhaft im Saugakt in die Brustwarze verkeilt. Das fühlt sich nicht samtig weich und schmusig an. Da entsteht zumindest ein kleiner blauer Fleck, ein Bluterguss. Oder sind das wohlsituierte, wohlbeleibte küssende Herren mit Nasenzwickerbrillen, die abends im Smoking mit Fliege und Zylinder ihre Mätresse ins Séparée ausführen? Oder zwickt der Opa lästig, aber freundlich neckend die Nasenspitze des Enkels? Ist ein Zwickerbusserl nichts, was den Mund aufsucht? Den Wienern ist zuzutrauen, das das ein Kaffeehausgebäck ist.
    Zungenpritschler
    Wenn das keine scharfe, mit ungarischem Paprika gewürzte Hartwurst ist, macht die Zunge da was, was brennt. Pritscheln fühlt sich augenblicklich an wie Zwiebeln. Da wird die Haut am Handgelenk gespannt und gegensinnig verdreht und wenn man loslässt, brennt es und wird feuerrot. Eindeutig unzärtlich. Und man sieht kleine Speichelfäden fließen und Speicheltröpfchen fliegen. Wie beim Boxerhund des Nachbarn wenn der den Kopf schüttelt, wird es nass. Und wenn beim Wangenkuss gar die Wange angesaugt wird bzw. auf den Hals Unterdruck erzeugend geknabbert wird bis sich ein sogenannter Kutschfleck zeigt? Eindeutig eine blaurote Verfärbung, die auf eine Einblutung hinweist. Da ist er wieder, der blaue Fleck. Da wird doch sicher nicht mit dem Ball gepritscht beim Züngeln? Oder die Zungen eingesetzt wie Tischtennisschläger zum Ballwechsel? Ach nein, sicher sind das sehr Säure Brausebonbons, die zischelnd auf der Zunge zerfallen und die Säure pritschelt in der Mundhöhle.
    Ja, so wird’s sein. Das Zwickerl ist ein Gebäck, das Pritschler ein saures Brausebonbon. Das hat mit Küssen und Liebeleien gar nichts zu tun. Muss so ein, fühlt sich nämlich nicht zärtelnd, samtweich und schmuselig an. Dann wäre das ja jetzt geklärt. In diesem Sinne. Steffi

  3. Liebe Steffi,

    Patienten sind in einer Ausnahmesituation, sie erleben sich selbst als hilfesuchend und müssen sich Ärzten und einer zunehmend technisierten Schulmedizin gewissermaßen ausliefern. Dabei fehlt den meisten Deine Beharrlichkeit, erst recht Dein medizinischer Wissensvorsprung.
    Der erste Eindruck spielt eine maßgebende Rolle für die Arzt-Patienten-Beziehung (und für die Behandlung selbst). Diese Beziehung aus sich heraus ist asymmetrisch, denn die Rollen, Erwartungshaltung, Wahrnehmung und Sprache sind unterschiedlich und die Tretminen, die hier liegen, können das Vertrauen und die Behandlungsziele empfindlich stören und in emotionale Sackgassen führen.

    Erstrebenswert für beide Seiten kann deshalb nur sein, daß sich der Blick der Mediziner schärft für die unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen und Bedürfnisse von Patient und Arzt, daß sie – die Mediziner- die eigenen kommunikativen Schwächen und Stärken kennen, dass sie hilfreiche Techniken der Gesprächsführung kennen- und anwenden lernen. Denn unbestritten hat dies positive Auswirkungen auf Outcome – Größen wie Behandlungserfolg, Patientenzufriedenheit und Lebensqualität, auf die Erweiterung der Handlungsspielräume des Arztes, seine Motivation und Berufsfreude. Eine „spachlose Medizin“ hingegen – wie sie der Medizinethiker Pof. Dr.med. Linus Geisler in einer Veröffentlichung beklagt, ist unmenschlich: Niemand – außer denen, die Gesundheit aus der rein ökonomischen Brille betrachten – kann das wirklich wollen.

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